Bernoulli, Johann I an Buxtorf, Johannes (1721.06.04)

Aus Bernoulli Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Briefseite   Briefseite   Briefseite   Briefseite   Briefseite   Briefseite  


Kurzinformationen zum Brief       mehr ...
Autor Bernoulli, Johann I, 1667-1748
Empfänger Buxtorf, Johannes, 1663-1732
Ort Basel
Datum 1721.06.04
Briefwechsel Bernoulli, Johann I (1667-1748)
Signatur Basel UB, Handschriften. SIGN: L Ia 668, Nr. 66b
Fussnote Dieser Entwurf wurde von Joh. I B. zusammen mit dem Entwurf seines Briefes an Johannes Scheuchzer von 1721 06 18 aufbewahrt. Beim Entwurf dieses Briefes an Scheuchzer findet sich auch die Abschrift eines Auszug aus einem Brief von August Johann Buxtorf an seinen Vater Johannes von 1721 05 15. Dieser Abschrift hat Johann I B. eigenhändig hinzugefügt: "ecrite par M. le Cand. Buxtorf dans une Bastide prés de Marseille". Beide Texte wurden auch in Abschrift als Beilagen zum Brief von 1721 06 18 an Johann Scheuchzer gesandt. In der Züricher Abschrift des Briefes an Johannes Buxtorf fehlen die Höflichkeitsfloskeln am Schluss der Basler Vorlage.



File icon.gifMagnif. D. Rector, Decane designate Spectatiss.

Sage aller vordrist schuldigen danck für die mir ertheilte nachricht von der merckwürdigen begebenheit so zwischen den Inslen S.t Michel und Tercera in deme meer sich erzeiget. Verwichenen Sonntag bey der Election hatten wir die zeit nicht unß darüber zu erspr[e]chen, folgenden montag In der Regenz ware gleichfals kein gelegenheit dar zu. Nebst diesem ware ich selbigen tags, sonderlich nachmittag von einer sehr violenten colique (welche schon etliche tag zu voren wie wohl nicht so schmertzhafft sich verspühren ließe) biß gestern dermaßen attaquiert, daß weder lesen noch schreiben konnte. Nun aber seit gestren abend der schmertzen G.L.[1] zimmlich nachgelaßen; als befinde mich im stand auff J. Magnf. und dero herren Sohns verlangen meine meinung über obbemeldte begebenheit folgender maßen zu eröffnen:

File icon.gifDie Inselen S.tae Mariae, S.ti Michaelis, und Tercera deren in der relation meldung geschihet, gehören zu den jenigen Insulen, so man Flandricas oder Açores heißet, gelegen in der großen Atlantischen See schier halb wegs von Europa gegen America;[2] Es ist zwar nichts newes daß durch Erdbidem auß der Erden ja auch auß dem grund deß meers, feuer mit großem gewalt heraus bricht, darvon seltzame sachen bisweilen entstehen, entweder daß newe Steinklippen in dem meer ja auch gar newe Inselen da zuvor keine gewesen sich hervor thun, oder daß hingegen andere verschlungen und versencket werden; Man findet dergleichen exempel genug bey den Scriptoribus Hist. Nat. Man beliebe nur zu lesen was Plinius schreibt Lib. II, c. 87 et c. 88.[3] Kircherus thut meldung von einem dem questionierten gantz ähnlichen phaenomeno; Weilen Ihr Magnifz. den Kircherum vielleicht nicht haben, und aber die von ihme beschriebene geschicht just auch bey der Insul S.t Michel sich zu getragen, als will ich seine Wort hierbeysetzen wie sie lauten in seinem Mundo subter. Lib. II, C. 12, § 1, Anno 1638, ad Insulam S. Michaelis in Mari Atlantico stimulantibus ignibus File icon.gif subterraneis tantum lapidum in medio maris egestum fuit, ut inde Insula lapidibus in montes coacervatis nata sese ad quinque milliarium latitudinem extenderit.[4] Darauß Ihr Mgnfz. sehen daß der Casus Kircheri und der gegetewärtige nur in dem mehreren und minderen underscheiden; dan wan ietzund nur ein paar klippen entsproßen so seind dazumahl namlich a.o 1638 gantze steinberge und von diesen samtlich eine ziemlich große Insul entstanden; und ist so wohl das damahlige als das jetzige phaenemenum nach dem vorher auß dem abgrund des meers herauß brechenden fewer herkommen. Auß der gleichheit dieser beyden zu fählen, so bey der Insul S.t Michel sich zugetragen, schließe ich daß die Erde under dem Meer umb diese Insul herum viel von Schwefel, bitumen oder andrer dergleichen brenbarer stoffe in sich hege und nehre, wie die so genandte Vulcani oder fewerspeyende berge als Aetna, Vesuvius, Hecla etc. also daß wan diese materi durch ein oder andere ursach, deren viel sich ereignen können, fewer faßet und sich entzündet, in kurtzer zeit eine große quantitet derselbigen in brand gerahtet, darauffhin das eingeschloßene wütende fewer gleich als in einer Mine einen ausbruch suchet, und allso die ob ihme liegende erden, steinen und felsen, auß dem grund deß meers mit großem krachen und gewalt über sich wirfft, und zu gleicher zeit die flammen als ein feüriger Strohm mitten auß dem waßer hervor File icon.gifspeyet wie auß einem großen schmeltzoffen, der von einem starcken blaast angetrieben wird. Daß aber von der brennenden materi selbsten gantz allein die zwo klippen, wie einige wollen, sich sollen formiert haben, bin auch neben dem H. Sohn nicht der meynung, daß solches geschehen könne, nicht zwar darumb wie Er sagt daß nicht wohl möglich daß eine genugsame quantitet dieser materi auff einmahl in der lufft brenne umb solche klippen zu generieren, dan das fewer kan ja so groß gewesen seyn, daß es einer noch weit größerer quantitet hätte fournieren[5] können, sondren darum falle ich dieser meinung nicht bey, weil dergleichen bituminose und sulphurische materi durch den brand zerfließet und consequenter sich nicht auffhaüffen und zu einem von dem grund auff erhabenen corpus formieren kan. Der anderen opinion so der H. Sohn selber hatt, daß die auffgeworffene erde und stein diese klippen haben machen können, stimme ich in so weit bey, daß sie die causa materialis gewesen, aber man sihet noch nicht wie diese verschüttete erde, grieß, und stein, haben können so dicht zusammen hangen umb eine molem continuam wie eine klippe darauß zu formieren, und warumb nicht viel mehr dieselbige als eine arena sine calce durch die ungestüme agitation deß meers gleich widerumb zerstrewet und dissipieret worden: Wan ich dan auff J. Magnifizenz ansuchen hin mein sentiment geben soll, File icon.gifso wollte ich auß beyden meynungen die dritte componieren und sagen, daß die verschüttete auffgeworffene erde und steine sich mit der zugleich in die höhe fahrenden geschmoltzenen brennenden materi wie mit einem heißen kitt vermenget,[6] und allso nach der abkühlung in dem waßer die gantze massa erhartet und in einen felsichten Cörper verwandlet worden: die Experienz zeiget genugsam daß das durch die kunst zubereitete so genandte stein kitt, welches auß resinose[r] und anderen brenbarer materi und auß schlacken bestehet, die zerbrochenen stein also hart zusammen hält und vereinbaret, daß je länger sie im waßer ligen, je harter sie werden und steiffer an ein ander halten und [kle]ben aber haben wir in unserer underirdischen fewr officin alle requisita die da dienen ein trefflich gutes caementum oder kitt zu machen, dan neben der sulfurischen bituminosischen, nitrosischen und anderen dergleichen materi befinden sich auch allerhand aschen und schlacken so von eysen oder anderen metallen die in deß Vulcani underirdischen schmeltzoffen gekochet werden, herkommen, dieses kitt darff dan nur noch mit den vorbemeldten auffgeworffenen steinen, wie gesagt, durcheinander vermischt werden, so begreiffen wir leicht, wie diese materialien in felsen harte corpora continua [seind] zusammen gekittet und sie die 2 klippen formiert haben.[7] Wan diese meine einfältige meinung gefallen kan, wird mich frewen. Indeßen verbleibe under göttl. protection Magnif.ae Tuae studiosiss. J. Bernoulli

Von hauß den 4. Iunj 1721.


Fussnoten

  1. Gott Lob.
  2. Stae Mariae [Santa Maria], Sti Michaelis [São Miguel] und Tercera [Terceira] sind die drei östlichsten Inseln des Archipels der Azoren. In diesem Brief bezieht sich Johann Bernoulli offensichtlich auf eine submarine Eruption im Bereich der Azoren (Don João de Castro Bank, zwischen São Miguel und Terceira, 38°13’47“N/26°37’48“W), die für den 8. Dezember (?) 1720 dokumentiert ist. Diese Eruption führte zu einer temporären Insel, die in der Folge durch das Meer erodiert wurde. (Daniel Bernoulli).
  3. Den Hinweis auf Plinius' Bericht entnahm Johann Bernoulli wahrscheinlich aus Kircher, Athanasius, Mundus subterraneus in XII libros digestus, 3. Aufl., t. II, Amsterdam (J. Janson) 1678, p. 77.
  4. Kircher, Athanasius, Mundus subterraneus in XII libros digestus, 3. Aufl., t. II, Amsterdam (J. Janson), 1678, cap. XII, § 1, p. 77. Diese frühe submarine Eruption von 1638 wird von Athanasius Kircher (1602-1680) im gleichen Band auf pp. 82-83 ausführlicher beschrieben. Auch dieses Ereignis von 1638, eine Eruption des Vulkansystems Sete Cidades auf São Miguel, ca. 3 km vor der Nordwestspitze der Insel im Meer, führte zur temporären Bildung einer Insel, Sabrina, die ebenfalls vom Meer wieder erodiert wurde. Ein spätere Eruption fand 1713 auf der Insel selbst statt. Kircher interpretierte wie Descartes die Erde als erkaltetes Gestirn mit einem Zentralfeuer und intermediären Feuerherden, die mit den Vulkanen an der Oberfläche durch Kanäle verbunden sind. Die Gebirge sind bei Kircher alt, von Gott geschaffen und bilden einen Panzer, der der Erde Stabilität verleiht. (Daniel Bernoulli).
  5. Im Manuskript steht "founieren".
  6. Johann I Bernoulli hat hier im Text einige Ergänzungen angebracht und die Reihenfolge von Wörtern und Satzteilen durch darüber geschriebene Zahlen und Einfügungszeichen neu geordnet. In der Transkription wurde versucht, diesen z. T. schwer zu durchschauenden Angaben zu folgen und einen sinnvollen Zusammenhang herzustellen.
  7. Bernoulli’s Ausführungen sind aus heutiger Sicht etwas konfus; sie reflektieren aber die damals gängige Idee, dass für unterirdisches Feuer brennbares, „sulfurisches, bituminosisches oder nitrosisches“ Material vorhanden sein muss. Die Bildung der Inseln wird dann durch die Vermengung der „in die Höhe fahrenden geschmoltzenen und brennenden materi“ mit Gestein und „Erde“ und die Zementation durch das sich abkühlende Material, heute würde man sagen Magma, erklärt. (Daniel Bernoulli).


Zurück zur gesamten Korrespondenz